Selbstverständlichkeiten

Der Begriff "christlich" ist für viele Menschen ein rotes Tuch. Sie denken denn etwa an unfassbar unmotiviertes Geplärre in sogenannten christlichen Gottesdiensten, das angeblich Gesang darstellen soll. Wenn ich sowas als jemand der sich selbst als Christ versteht im Radio höre kommt mir oft spontan so ziemlich alles hoch, was sich gerade so in meinem Magen befindet und ich verspüre einen heftigen Drang den Sender zu wechseln. Ebenso bei den meisten rundfunkratprogrammquotenbedingten Kurzansprachen irgendwelcher "Pastoren", die noch am besten zur Verleumdung des Christentums als Religion von gefühlsmäßig verflachten Vollidioten taugen (zugegeben: in seltenen Ausnahmefällen kommen sogar ganz brauchbare Gedanken darin vor).

Das vermeintlich Selbstverständliche kann zutiefst heimtückisch sein und ist es oft auch. Gemeinschaftskompetenz in oadischem Sinne könnte man meiner Meinung in einem wesentlichen Punkt so beschreiben: Ein Oadier ist stets bereit das was er selbstverständlich findet offenen Geistes zu hinterfragen.

Viele Leute, die nach Oadien kommen, weil sie sich eventuell hier ansiedeln würden, scheinen mir diese Fähigkeit in höherem Maße nicht zu haben. Mittlerweile glaube ich nicht mehr wirklich daran, daß es in der heutigen Zeit passende Menschen unter ethnisch Deutschen gibt, Menschen die tief in die oadische Kultur integrierbar wären. Ihnen fehlt alleine schon die innere Ruhe in ihrer absurden Dauergetriebenheit, die sie irrtümlich für Lebensintensivität halten. Eine Lebensintensität für weitgehend Leblose, ja.

Dies auszutesten war ein Zweck der Wiedergründung Oadiens in einem kleinen Gebiet. Aber bin ich selbst überhaupt besser? Bin ich noch offen? Meine Güte, wie soll man offen sein, bei all den Leuten, die vorbeikommen? Klar, andere Leute in anderen Gemeinschaften würden vielleicht Offenheit vortäuschen. Halt auch blöd, wenn man von allgemeiner Verlogenheit wegwill.

Indem wir nun vor einigen Jahren grundlegende "oadische Werte" hier auf der Homepage ausformulierten¹ machten wir den Schritt aus unseren zumindest bisher nicht so klar formulierten Vorstellungen, also dem was wir als Projekt selbstverständlich finden.

Der ursprüngliche Ansatz jedem Menschen zu ermöglichen sich selbst zu finden, das zu leben was in ihm ist war wohl zu mißverständlich. Gemeint ist dabei das gewesen, was aus oadischer Sicht als "wahre Natur" des Menschen betrachtet werden kann. Diese angenommene "wahre Natur" drückt sich in den nun nachzulesenden Grundwerten aus. Das nicht auszuformulieren war vielleicht naiv in einer Zeit des teils exzessiven Relativismus. Aber Naivität ist aus oadischer Sicht ja auch etwas das eher einen positiven Klang besitzt, wohingehend "abgeklärte" depressive Zyniker keinen ganz so guten Ruf besitzen (wenn sie auch durchaus eindeutig Oadier sein können).

Aber macht Naivität nicht auch aus, gewisse Dinge als selbstverständlich vorauszusetzen, die es nicht sind? Nein, das sehe ich nicht so. Die positive Kraft der Naivität besteht in ihrer Lebensbejahung. In ihrem Streben nach dem, was sie als gut erfühlt. Sie lebt aus ihrem Geist, egal was um sie herum aus anderer Perspektive attestiert werden könnte. Sie ist fokussiert auf das, was ihr aus ihrem Geist heraus wirklich wichtig ist. Sie muß nicht verstehen, weswegen andere Menschen anders sind. Wer leckere Delikatessen mag, der muß sich nicht mit Industrieerzeugnissen befassen, um über sie die Nase zu rümpfen oder lange Schimpftiraden über sie niedergehen zu lassen.

Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen bedeutet zu formulieren, was man als Individuum für selbstverständlich hält. Das steht einer naiven Herangehensweise an die Welt nicht entgegen und resultiert aus dem Respekt, den man einem anderen Individuum entgegenbringt. Sich auf den anderen einzulassen, sich ihm zu zeigen wie man ist, wie man wirklich ist, nicht wie man gerne gesehen werden würde oder selbst gerne wäre. Zu sehen, wie der andere sich auf mich einläßt, darin zu erleben, daß da etwas lebt. Begegnung. Nicht Belauern und Furcht voreinander, vor sich selbst.

¹ "Diese Beschreibung der positiv betrachteten Frucht des Geistes und den negativ eingeordneten Werken des Fleisches entsprechen oadischen Wertvorstellungen. Einschließlich der Haltung erkennbare Werke des Fleisches in Menschen als geistiges Problem zu betrachten." Oadische Wertvorstellungen und das Christentum